Amélie zu Eulenburg

GESCHICHTE EINER AUSSTELLUNG —
KLAUS STAECK:
POLITISCHE PLAKATE.
REVISITED

Verschobene Ausstellungseröffnungen, geschlossene Museen. Die Ausbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) im Frühjahr 2020 trifft den gesamten Kulturbereich hart. Die wirtschaftlichen Folgen der Krise sind noch nicht abzusehen. Ganz zu schweigen von den Folgen für unsere Gesellschaft. Ist die Pandemie gestoppt, werden wir sehen, welchen Einfluss sie auf den Kunst- und Kulturbereich haben wird. Wie fließen Einsamkeit, Angst, Solidarität, Zerbrechlichkeit u. kollektives Handeln in den Kulturbertrieb ein? (1) Können wir einfach so wieder zur Tagesordnung übergehen? Von der Verschiebung der Eröffnung ist auch die Ausstellung »Klaus Staeck: Politische Plakate. Revisited« in der Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße betroffen. Der 5. Mai, fast auf den Tag genau 30 Jahre nach der historischen Eröffnung der Ausstellung und zugleich der Vorabend des 30. Jahrestages der ersten freien Kommunalwahlen in der DDR, war als Eröffnungstermin geplant. Der neue Termin ist zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Textes noch nicht absehbar.

Diese Nichtplanbarkeit wird zur Schlüsselerfahrung des Jahres 2020. Noch während man Entscheidungen trifft, ändert sich die Situation. Wird die Ausstellung im Digitalen stattfinden? Wird die Gedenkstätte zum Online-Viewing-Room? Fällt die Ausstellung ganz aus? Die Verhältnisse verschieben sich rasant. Gefragt ist Pragmatismus. Doch Vorsicht ist geboten. – Jetzt nicht stehen bleiben und auch nicht in Aktionismus verfallen.

Banner: »Bürgerfest Lindenhotel. 100 Jahre 1. Mai«. Kamera: Rolf Staeck. Screenshot, Film zur Ausstellungseröffnung
Banner: »Bürgerfest Lindenhotel. 100 Jahre 1. Mai«.
Kamera: Rolf Staeck. Screenshot, Film zur Ausstellungseröffnung

DIE AUSSTELLUNG

Klaus Staeck: Politische Plakate« wurde am 1. Mai 1990 im ehemaligen Stasi-Untersuchungsgefängnis in der Otto-Nuschke-Straße (heute Lindenstraße) eröffnet. Anlass war ein Bürgerfest, das dort zum 100. Jahrestag des Arbeiterfeiertages mit Live-Musik und Begleitprogramm gefeiert wurde. Über mehrere Wochen hinweg war die Ausstellung bei den 1990 stattfindenden öffentlichen Besichtigungsterminen im ehemaligen Stasi-Untersuchungsgefängnis zu sehen. Diese hatten den Zweck, der Bevölkerung das ehemalige Gefängnis mitten in der Potsdamer Innenstadt zu zeigen und sie über die Repressionspraxis und die autoritäre Gewalt der entmachteten Staatsmacht aufzuklären.

Eine Auswahl von Klaus Staecks Plakaten wurde im Hafthaus, nur mit Holzleisten versehen, an Angelseide und Fleischerhaken an die Wände gehängt: Die Flure der ehemaligen Haftanstalt wurden zur Ausstellungsfläche.

KAMERA: ROLF STAECK. SCREENSHOT, FILM ZUR AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG
KAMERA: ROLF STAECK. SCREENSHOT, FILM ZUR AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG
KAMERA: ROLF STAECK. SCREENSHOT, FILM ZUR AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG
KAMERA: ROLF STAECK. SCREENSHOT, FILM ZUR AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG

WIE KAM ES ZU
DER AUSSTELLUNG 1990?

Die Ausstellung »Klaus Staeck: Politische Plakate. Revisited« ist eine Retrospektive. Sie erzählt die Geschichte der damaligen Ausstellung. Die Plakate Klaus Staecks, der als bekanntester deutscher Plakatkünstler gilt, waren nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in der DDR bekannt. Mit seinen radikalen Inszenierungen rüttelte der Grafiker und Jurist seit Beginn der siebziger Jahre regelmäßig den Politik- und Kulturbetrieb der Bundesrepublik auf, regte zu Debatten an und machte auf die bestehenden Verhältnisse aufmerksam, die er abwechselnd scharf kritisierte oder ironisierte.

Die Recherchen zum aktuellen Ausstellungsprojekt glichen einer archäologischen Freilegung des Jahres 1990 in Potsdam. Denn über die Beweggründe, wie es im Mai 1990 zu der Ausstellung kam, die in der Lindenstraße (damals Otto-Nuschke-Straße) eröffnete, war zu Beginn der Recherchen so gut wie nichts bekannt.

Bei zahlreichen Gesprächen mit Zeitzeug:innen, Akteuren, Multiplikator:innen und Mitarbeiter:innen des Potsdamer Kulturbetriebs wurde deutlich, dass die Jahre 1989 und 1990 in der kollektiven Erinnerung ganz unterschiedlich präsent sind.

Während sich die Ereignisse des Herbstes 1989 rasch ins Gedächtnis rufen lassen, scheinen die des Jahres 1990 verschüttet (2) die Besetzung der Stasizentrale in der Hegelallee und die Öffnung der Haftanstalt in der Otto-Nuschke-Straße am 5. Dezember 1989, die auch »Sturm auf die Bastille« Potsdams genannt wurde,(3) die Gründung des Rates der Volkskontrolle,(4) die Arbeit am Runden Tisch, die Gründung der Treuhandanstalt im März, die Volkskammerwahlen am 18. März, die Kommunalwahlen am 6. Mai, die Währungsunion im Sommer, die Vorbereitungen der staatlichen Vereinigung, die am 3. Oktober vollzogen wurde, die Landtagswahlen im Oktober und dann im Dezember die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl. Die Ereignisse überschlugen sich förmlich. Das Gedächtnis, zerrissen von unerfüllten Wünschen und erschöpft vom weiteren Verlauf der Ereignisse, fasst ein solches Jahr nur schwer.(5)

Im Dezember, nur sechs Monate vor der Ausstellungseröffnung, waren die letzten Häftlinge aus dem Stasi-Untersuchungsgefängnis entlassen worden oder in das Gefängnis in der Potsdamer Bauhofstraße (heute Henning-von-Tresckow-Straße) überführt worden.

So zeigte die Ausstellung in den Fluren des ehemaligen Gefängnisses eine besondere Momentaufnahme dieser Zwischenzeit, und zwar in mehrfacher Hinsicht:

Die Plakate von Klaus Staeck verweisen auf das Deutschland der 70er und 80er Jahre. Staecks Plakate thematisieren Umweltverschmutzung, Waffenhandel, Kriege, Ernährungspolitik, globale Konflikte, die so genannte »Dritte Welt«, Immobilienskandale, Verkehrspolitik, Lobbyismus und institutionelle Gewalt. Sie benennen Krisenerscheinungen in Deutschland, Europa und der Welt, deren Anfänge im Jahr 1990 bereits Jahrzehnte zurückliegen. Heute sind sie eine wichtige zeithistorische Quelle. Mit trockenem Humor macht der Künstler auf Missstände in Politik und Gesellschaft aufmerksam. Oftmals sind die Adressaten von Staecks Kunst nicht eindeutig auszumachen. Jeder kann sich ertappt fühlen von der ungeschönten Wahrheit der Grafiken. Aus der Perspektive von DDR-Bürger:innen wirkten sie wie Zerrbilder und verwiesen, Warnschildern gleich, auf die Verhältnisse der eigenen Gesellschaft im sozialistischen Staat.

KAMERA: ROLF STAECK. SCREENSHOT, FILM ZUR AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG
KAMERA: ROLF STAECK. SCREENSHOT, FILM ZUR AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG
KAMERA: ROLF STAECK. SCREENSHOT, FILM ZUR AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG
KAMERA: ROLF STAECK. SCREENSHOT, FILM ZUR AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG

WER WAREN DIE AKTEURE?

Die aktuelle Ausstellung erzählt die Geschichte der Akteure und Initiatoren der damaligen Schau, die selbst zum historischen Ereignis und somit zum Teil der deutsch-deutschen Verflechtungsgeschichte wurde. Potsdam war 1990 eine Stadt im politischen Umbruch, des Zusammenbruchs der SED-Herrschaft und ihrer Überwindung. Die Bezirkshauptstadt war Mittelpunkt von kirchlichen sowie subkulturellen Gegenöffentlichkeiten. Sie war ein wichtiges oppositionelles Zentrum in der Brandenburger Region, für Künstler:innen wie für reformorientierte Intellektuelle. Als Mitbegründer des Neuen Forums und Initiator der Ausstellung gestaltete der Astrophysiker Rudolf Tschäpe diesen Prozess in Potsdam maßgeblich mit.

Die Präsentation thematisiert von der Freundschaft Heinz Schönemanns, dem stellvertretenden Generaldirektor der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci, mit dem Oppositionellen Rudolf Tschäpe. Ihr gemeinsames Engagement begann 1974 mit einer Ausstellung von Skulpturen des Bildhauers Wieland Förster am Zentralinstitut für Astrophysik der DDR auf dem Potsdamer Telegrafenberg. Die Klaus-Staeck-Plakatausstellung 1990 war somit ein Ereignis in Folge eines langjährigen intellektuellen Austauschs. Schönemann und Tschäpe wurden, auch davon berichtet die heutige Ausstellung, über Jahrzehnte systematisch von der Staatssicherheit überwacht.

Das Jahr 1990 war geprägt von einer Fülle von Interaktionen der deutsch-deutschen Kunst- und Kulturszene. Die Kontaktaufnahme Rudolf Tschäpes mit Klaus Staeck im Herbst 1989 gehörte dazu. Rudolf Tschäpe bat Klaus Staeck, ein Plakat für die Potsdamer Friedensdekade zu entwerfen. Das Plakat kam nicht zustande, aber dafür die Plakatausstellung im darauffolgenden Frühjahr, wie ein Briefwechsel der beiden zeigt.(6)

Klaus Staeck war auch im Kunst- und Kulturbetrieb der DDR eine bekannte Größe. Seit den 70er Jahren zeigte er Ausstellungen in ostdeutschen Städten. Die ost- und westdeutsche Kunst- und Kulturszene traf sich unter anderem in der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin. Dort verkehrte wiederum auch Heinz Schönemann.

Diskussion nach der Ausstellungseröffnung mit Rudolf Tschäpe, Klaus Staeck und Heinz Schönemann. Kamera: Rolf Staeck. Screenshot, Film zur Ausstellungseröffnung
Diskussion nach der Ausstellungseröffnung mit Rudolf Tschäpe, Klaus Staeck und Heinz Schönemann.
Kamera: Rolf Staeck. Screenshot, Film zur Ausstellungseröffnung

DIE LINDENSTRASSE ALS EPIZENTRUM DER BÜRGERBEWEGUNG

Die Massen von Menschen, die sich im Fernsehinterview mit Klaus Staeck nach der Eröffnung der Ausstellung hinter ihm die engen Treppen hinauf und herunter durch das ehemalige Hafthaus drängen, zeigen es: Das ehemalige Gefängnis in der Stadtmitte erscheint als ein »Epizentrum« der oppositionellen Bewegung Potsdams im Frühjahr 1990.(7) Die Bürgerbewegungen ARGUS und Neues Forum und die SPD waren in das Gebäude eingezogen und nutzten die Räume im Vorderhaus als Büros für ihre politische Arbeit. An den Wochenenden erhielten die Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit, das ehemalige Gefängnis von innen zu sehen und Einblick in die vergangene Repressionsgeschichte der noch bestehenden DDR zu gewinnen. Die heutige Plakatausstellung erinnert somit nicht nur an die damalige Schau, sondern verweist auch noch einmal auf ihre Vorgeschichte, an den symbolischen Akt, als die Mitglieder der Bürgerbewegung am 5. Dezember 1989 Einlass in die Stasi-Untersuchungshaftanstalt forderten. Die Lindenstraße 54 wurde das »Haus der Demokratie«: Nur wenige Wochen später organisierten die neu gegründeten Parteien und Bewegungen von hier aus ihre Beteiligung an den ersten freien Wahlen in der DDR. Die zentrale Frage im Superwahljahr 1990 schien zu sein, ob sich aus der Gesellschaft eine demokratische Handlungsfähigkeit bilden würde.

Mit den ersten freien Kommunalwahlen im Mai 1990 begann in der DDR eine Phase der kommunalen Autonomie und Selbstverwaltung, ein Transformationsprozess, der auch als »die Rückkehr der Städte« bezeichnet wurde.(8) Die Potsdamer:innen forderten die Hoheit über den Stadtraum zurück. Auch das Stasi-Untersuchungsgefängnis gehört zu einem der geöffneten, wieder zugänglich gemachten Räume und reiht sich ein in MfS-Objekte und ehemalige Dienststellen, den Armee-Sportklub Vorwärts und den Sitz der SED-Bezirksleitung am Brauhausberg.(9) Die Rückeroberung der Räume in Potsdam war ein Signal der Bürger:innen und zeigte, dass diese die Autorität und Willkür des Staates nicht länger akzeptieren würden.

Interview mit Klaus Staeck am 1. Mai 1990, im Hintergrund Besucher und Besucherinnen im Hafthaus. Kamera: Rolf Staeck. Screenshot, Film zur Ausstellungseröffnung
Interview mit Klaus Staeck am 1. Mai 1990, im Hintergrund Besucher und Besucherinnen im Hafthaus.
Kamera: Rolf Staeck. Screenshot, Film zur Ausstellungseröffnung

(1)  Monopol, Berlin, Nr. 4/2020, S. 23.

(2)  Das Jahr 1990 freilegen. Remontage der Zeit, hrsg. v. Jan Wenzel, u.a., Leipzig 1990, S. 6.

(3)  Günther Rüdiger, Der Sturm auf die Bastille, in: Der Tag an dem die Mauer fiel, hrsg. v. Christian Landgrebe, Berlin 1999, S. 244-263.

(4)  Peter Ulrich Weiß und Jutta Braun, Im Riss zweier Epochen, Berlin 2017, S. 85.

(5)  Das Jahr 1990 freilegen, S. 6.

(6)  Brief Klaus Staeck an Rudolf Tschäpe vom Februar 1990. Quelle: Archiv SGL/Nachlass Tschäpe.

(7)  Zitat Hannes Wittenberg, Gesprächsnotiz Amélie zu Eulenburg vom 3. Dezember 2019.

(8)  Karl Schlögel, Das Wunder von Nishnij oder die Rückkehr der Städte. Berichte und Essays, Frankfurt 1991, Ders., Marjampole oder Europas Wiederkehr aus dem Geist der Städte, München 2005.

(9)  Im Riss zweier Epochen, S. 430f.

KAMERA: ROLF STAECK. SCREENSHOT, FILM ZUR AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG
KAMERA: ROLF STAECK. SCREENSHOT, FILM ZUR AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG